Nur die Vorlage von Einleiferungsbeleg und Sendungsverlauf des Einwurf-Einschreibens reichen nicht für die Annahme des Zugangs im Wege des des Anscheinbeweises aus.
BAG, Urt. v. 30.01.2025 – 2 AZR 68/24
Kurzgefasst: Der Arbeitgeber versendet die Kündigung mit Einwurfeinschreiben. Der Arbeitnehmer bestreitet den Zugang des Kündigungsschreibens. Der Arbeitgeber legt im Kündigungsschutzprozess nur den Einlieferungsbeleg und die Darstellung des Sendungsverlaufs vor, nicht aber eine Reproduktion des Auslieferungsbelegs. Das BAG hat danach entschieden, dass die bloße Vorlage von Einlieferungsbeleg und die Darstellung des Sendungsverlaufs des Einwurf-Einschreibens für sich allein genommen – ohne Vorlage der Reproduktion des Auslieferungsbelegs – keinen Anscheinsbeweis für einen Zugang der eingelieferten Postsendung beim Empfänger begründen. Das Bundesarbeitsgericht hat der Kündigungsschutzklage daher stattgegeben.
Mit der Entscheidung führt das BAG seine Rechtsprechung zum Zugang von Kündigungsschreiben und den Beweisregeln dazu konsequent fort (vgl. BAG Urt. vom 20.06.2024 – 2 AZR 213/23 – siehe Beitrag https://www.konnegen-rechtsanwalt.de/?s=Zugang+K%C3%BCndigung
Sachverhalt:
Die Parteien streiten zuletzt über die Wirksamkeit einer Kündigung, die von der Beklagten gegenüber der schwangeren Klägerin, nach vom Regierungspräsidium erteilten Genehmigungsbescheid vom 25.07.2022, mit Kündigungsschreiben vom 26.07.2022 außerordentlich und hilfsweise ordentlich ausgesprochen worden ist. Die Klägerin bestreitet den Zugang des Kündigungsschreibens. Die Beklagte legte innerhalb der prozessualen Fristen nur den Einlieferungsbeleg und den Sendungsverlauf des Einwurf-Einschreibens vor. Zudem erklärte die beklagte Arbeitgeberin, zwei ihrer Mitarbeiterinnen hätten das Kündigungsschreiben gemeinsam in einen Briefumschlag gesteckt und die Mitarbeiterin XY habe Umschlag zu Post gebracht und zur der auf dem Einlieferungsbeleg angegebenen Uhrzeit zu der Sendungsnummer RT persönlich als Einwurf-Einschreiben aufgegeben. Die Frist, in der die Post Kopien des Einlieferungsbelegs speichert, war abgelaufen. Die Beklagte meinte aber, dass der Einlieferungsbeleg und der Sendungsverlauf zur Annahme des Anscheinsbeweises für den Zugang des Kündigungsscheibens genügen. Das pauschale Bestreiten des Zugangs durch die Klägerin reiche nicht aus, um diesen Beweis des ersten Anscheins zu erschüttern.
Verfahrensgang:
Das Arbeitsgericht Heilbronn (1 Ca 91/22) hat die Kündigungsschutzklage in Bezug auf die Kündigung vom 26.07.2022 abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg (15 Sa 20/23) hat ihr dagegen stattgegeben und festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung vom 26.07.2022 weder außerordentlich fristlos noch hilfsweise ordentlich aufgelöst worden ist. Das LAG hat zur Begründung darauf abgestellt, dass die beklagte Arbeitgeberin den Zugang des Kündigungsschreibens nicht bewiesen habe.
Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts:
Das BAG folgt der Auffassung des Landesarbeitsgerichts, dass die Beklagte für den Zugang des Kündigungsschreibens beweisfällig geblieben ist.
Grundsätzlich gelte nämlich, dass Kündigungsschreiben als eine verkörperte Willenserklärung, die unter Abwesenden dann zugehen, sobald sie in verkehrsüblicher Weise in die tatsächliche Verfügungsgewalt des Empfängers gelangen und unter den gewöhnlichen Umständen für den Empfänger die Möglichkeit der Kenntnisnahme besteht. Zum Bereich des Empfängers gehören von ihm vorgehaltene Empfangseinrichtungen wie z.B. ein Briefkasten. Dass das Kündigungsschreiben in die tatsächliche Verfügungsgewalt der Klägerin gelangt war, war von der Beklagten nicht ausreichend dargelegt (Reproduktion d. Auslieferungsbelegs).
Das BAG hat in seiner Entscheidung darauf abgestellt, dass die Beklagte, für den von ihr behaupteten Einwurf des Kündigungsschreibens, keinen Beweis angeboten hat, insbesondere keinen Zeugenbeweis der Person, die den Einwurf in den Briefkasten vorgenommen haben soll.
Den Beweis des ersten Anscheins hat das BAG vorliegend nicht angenommen, da es an dem dafür erforderlichen typischen Geschehensablauf fehle. Einen solchen typischen Geschehensablauf zeige z.B. das Peel-off-Label-Verfahren*, das vom Bundesgerichtshof für die Bejahung des Zugangs im Rahmen des Anscheinsbeweises als ausreichend angesehen worden ist (vgl. BAG Urt. v. 30.01.2025 – 2 AZR 68/24 – RN 17).
Das BAG musste sich mit der Art, der von der Deutschen Post AG angewandten verschiedenen Verfahren der Zustellung nicht weiter befassen, da es zu dem konkret angewandten Zustellverfahren weder Vortrag der Beklagten gab noch das LAG dazu Feststellungen getroffen hatte. Weiter erläutert das BAG in seiner Entscheidung, warum Einlieferungsbeleg und Sendungsstatus für das Vorliegen eines Anscheinsbeweises zum Gelangen des Kündigungsscheibens in die tatsächliche Verfügungsgewalt der Klägerin (Briefkasten) nicht ausreichen (vgl. BAG Urt. v. 30.01.2025 – 2 AZR 68/24 – RN 19 – 21).
https://www.bundesarbeitsgericht.de/entscheidung/2-azr-68-24/
*Peel-off-Label Verfahren – bei diesem Zustellverfahren wird ein Abziehetikett, das zur Identifizierung der Sendung dient, von dem zustellenden Postangestellten abgezogen und auf einen vorbereiteten, auf die eingeworfene Sendung bezogenen Auslieferungsbeleg aufgeklebt. Bei diesem Zustellverfahren hat der Bundesgerichtshof den Beweis des ersten Anscheins für den Absender eines Einwurf-Einschreibens gelten lassen, dass die Sendung durch Einlegen in den Briefkasten bzw. das Postfach zugegangen ist, bei Vorlage des Einlieferungsbelegs zusammen mit einer Reproduktion des Auslieferungsbelegs (BAG Urt. v. 30.01.2025 – 2 AZR 68/24 – RN 17 mit Verweis auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes – BGH 11. Mai 2023 – V ZR 203/22 – Rn. 8; 27. September 2016 – II ZR 299/15 – Rn. 33, BGHZ 212, 104).